Kapitel 1
Jamina
Verdammter Mist! Wie bin ich nur in diese ausweglose Situation geraten? Das ist überhaupt nicht meine Art! Und doch ist es so, und ich mag es selbst kaum glauben. Einen Moment schleiche ich noch durch diese düstere Gasse im verrufensten Viertel von Brà, auf der Suche nach dem Mink, im nächsten packt mich dieser riesige Klotz und quetscht mich gegen die Mauer – und das so fest, dass es mir beinahe die Nase ins Hirn drückt. Es fühlt sich an wie eine Megatonne Fels in meinem Rücken, ich kann nicht atmen – und sehen kann ich auch nichts. Dummerweise komme ich auch nicht mehr an meine Waffen, weil meine Hände vor meiner Brust eingeklemmt sind. Das hätte nicht passieren dürfen!
Hölle, ich muss zusehen, dass ich irgendwie frei komme, bevor ich hier ernsthaft in Schwierigkeiten gerate. Brà ist keine Gegend, in der man jemandem in die Hände fallen will. Egal welcher Kreatur, denn hier sind alle böse. Das Hurenviertel dieser Kolonie hat nicht umsonst den schlechtesten Ruf in der Galaxie!
Wild wirbeln meine Gedanken durcheinander. Denk scharf nach, Jamina … Du bist nicht umsonst die tödlichste und die bestbezahlteste Kopfjägerin in diesem und sämtlichen angrenzenden Universen, du musst ihn ablenken, damit er nachlässig wird. Und dann …
››So sieht man sich also wieder, katta‹‹, raunt es über mir, während mir nach und nach meine Waffen abgenommen werden. Ich spüre warmen Atem an Wange und Hals, als der Riese sich über mich neigt. Irgendwie kommt mir die Stimme sogar bekannt vor, ich weiß nur nicht, wo ich sie einordnen muss. Seltsam, mein Gedächtnis ist fotografisch. Dieses genetische Update hat mich ein Vermögen in Lebar-Kristallen gekostet. Aber ich erinnere mich nicht.
Ich winde mich in seinem Griff. Als Reaktion darauf verlagert mein Angreifer seine Gestalt ein winziges Stück, und ächzend entweicht mir der letzte Rest Luft aus den Lungen, bevor er sich zurücknimmt. Diese Warnung ist weder subtil noch sonst was – sie ist eindeutig.
Bin ich so nachlässig gewesen? Habe ich mich zu sicher gefühlt? So ein Leichtsinn kann tödlich sein für eine wie mich. Wir werden gehasst, beinahe von jeder Spezies der diversen Universen. Seit sich vor einigen Jahrhunderten die Theorie der ewigen Inflation des Universums tatsächlich bestätigt und sich die Raumfahrt so weit entwickelt hat, dass man über das eigene Universum hinaus in die anderen reisen konnte, ist vermutlich noch kein Kopfgeldjäger in eine so beschissene Falle gelaufen wie ich.
Das schmeckt bitter. Ein Mink im Hurenviertel von Brà. Ich hätte es wirklich besser wissen müssen, oder? Die Mink sind spirituelle Wesen, jenseits alles Fleischlichen. Selbst ein Abtrünniger dieser Rasse würde sich niemals in ein überdimensionales Bordell verirren, noch nicht einmal, um sich zu verstecken. Selbst schuld, ich bin gierig geworden. Eine volle Tonne Lebar-Kristalle hat mir der Ober-Mink versprochen, wenn ich seinen flüchtigen Chefguru einfange und zurückbringe – und zwar, bevor publik wird, dass einer seiner bevorzugten religiösen Führer die Fliege gemacht hat, weil er sämtlichen Glauben an seine Göttlichkeit verloren hat. Ja, das ist es, was die Mink von sich glauben. Sie wären eine Art Götter, erfüllt von ewiger Weisheit. Bla bla bla. Ich kann es überhaupt nicht mit Religion, schon gar nicht mit Typen, die von sich denken, sie stünden über dem Rest der Galaxie. Aber sie zahlen gut, und da kann man schon mal gegen die eigenen Prinzipien handeln. Geld stinkt nicht, im wahrsten Sinn des Wortes. Die Lebar-Kristalle riechen im Gegenteil sogar herrlich, nach Blumen. Aber nicht deshalb sind sie so kostbar, sondern weil sie aus schier unerschöpflicher Energie bestehen. Man kann alles Mögliche aus ihnen machen, sie nicht nur zum Antrieb eines interuniversen Raumschiffs. Und …
Etwas zwickt mich scharf seitlich in den Hals. Mist, den Kerl habe ich ganz vergessen. Ich ächze innerlich. Dreimal Hölle, was ist los mit mir? Wie kann ich gedanklich abschweifen, ausgerechnet jetzt, wo ich bis zum Hals in der Scheiße stecke? Was ist nur los mit mir?
Mir will einfach nicht einfallen, was ich tun kann, um mich zu befreien. Ich bin schon ein paar Mal in einer auf den ersten Blick aussichtslosen Situation festgesteckt, aber bisher habe ich immer einen Ausweg gefunden. Jetzt schaffe ich es nicht einmal, darüber nachzudenken. Das ist doch nicht normal.
››Was willst du von mir?‹‹, ringe ich mir mühsam ab. Ich kann kaum sprechen, dafür bräuchte man Luft, und davon gibt er mir viel zu wenig.
››Rache‹‹, säuselt es heiser neben mir, und mir wird kalt. So verdammt kalt.
Meine Lage wird immer aussichtsloser. Rache – das kann nur bedeuten, dass es um Vergeltung geht. Um Wiedergutmachung. Der riesige Klotz ist also jemand, den ich mal aufgegriffen und ausgeliefert habe. Das ist, wie gesagt, mein Job: Flüchtige jeglicher Art aufzuspüren und sie gefangen zu nehmen. Gegen Kopfgeld liefere ich sie dann demjenigen aus, der am meisten bezahlt. Davon lebt es sich gut, zumindest in meinem Fall, weil ich eben so verdammt erfolgreich bin. Ach was, ich bin die Beste. Nicht nur in diesem Universum, sondern auch in allen anderen. Punkt. Das ist keine Überheblichkeit, das ist einfach die Wahrheit. Außerdem ist es mir ziemlich egal, ob es ein Krimineller ist, den ich jage – oder einfach nur jemand, der jemanden arg auf die Füße getreten ist und nun zur Kasse gebeten wird. Sozusagen. Die Hintergründe interessieren mich nie, ich liefere wie bestellt, das ist alles. Was mit meiner Beute dann letztendlich geschieht, ist mir egal. Dafür bin ich nicht mehr zuständig.
Ja, um nochmal auf den Punkt zu kommen: Ich bin die beste Kopfgeldjägerin, die auf freier Basis arbeitet und nicht im Dienste irgendwelcher Planetenvereinigungen, Behörden oder Konföderationen steht. Ich arbeite auch nicht für irgendeinen ominösen Herrscher, ich bin mein eigener Herr. Umso unverständlicher ist es, dass dieser Kerl mich einfach so überwältigen konnte. Obwohl er aus dem Nichts gekommen ist. Ich habe ihn nicht gesehen, weil ich – so unglaublich es mir selbst vorkommt – in Gedanken war. Das passt nicht zu mir. Wenn ich einer Beute auf der Spur bin, sind meine Sinne geschärft. Natürlich doppelt und dreifach, wenn ich mich in solch unsicheren, verrufenen Gegenden bewege, wie diesem Rotlichtviertel, in einer unbedeutenden Kolonie am Arsch der Galaxie, wo sich sämtliche kriminelle Subjekte verkrochen haben. Ich denke nur daran, meine Beute zu fangen und sie dingfest zu machen. Und … schon wieder!
Ich zucke zusammen, langsam fühlt es sich nicht mehr gut an. Mehr noch, es macht mir Angst. Was ist mit meinem Kopf los? Es ist, als würden mir meine Gedanken mit Gewalt entgleiten, als hätten sie ein Eigenleben und tun, was sie wollen. Nicht, was ich will. Das ist nicht normal!
Denk scharf nach, Jamina, sage ich mir verbissen. Der Kerl ist groß, viel größer als du. Beinahe einen Meter sogar, und gewaltig wie ein … wieder erstarrt alles in mir zu Eis. Gewaltig wie ein Droga.
Okay. die Situation ist wirklich beschissen. Wenn das der ist, von dem ich vermute, dass er es ist, dann … In sämtlichen Universen gibt es nur einen einzigen Droga, der eine Rechnung mit mir offen haben könnte. Und ja, der hat verdammt nochmal viel Grund, mir ans Fell zu wollen.
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Jamina, jetzt überleg mal gut, wie du hier den Hals aus der Schlinge ziehen kannst. Könnte sein, dass dein Leben keinen Yori mehr wert ist!
››Hast du mich vermisst, katta?‹‹
››Mindestens so sehr wie einen Pickel an der Klitoris‹‹, stöhne ich, und bellendes Gelächter über meinem Genick lässt mich erschaudern. Eine riesige Hand gleitet über meine Flanke, schiebt sich zwischen Mauer und meinen Unterleib. Ich höre es ratschen, als wäre es papierdünn, reißt das Tik-Leder meiner Hose. Ich kneife die Augen zusammen, als sich diese Hand nun zwischen meine Beine drängt – und schon fährt ein scharfer Schmerz von dieser Stelle durch meinen Körper.
››Dieses kleine Ding hier? Katta, wenn ich mit dir fertig bin, dann ist ein Pickel an dieser Stelle dein geringstes Problem, das versichere ich dir!‹‹
Krampfhaft versuche ich gegen den Schmerz anzugehen. Mit den Fingern drückt er meinen kleinen Lustknoten zusammen, er quetscht ihn – und er gibt erst Ruhe, als meine Beherrschung bricht und ich schmerzerfüllt winsle. Sein Gurren zeigt mir, wie zufrieden ihn das macht, und ungerührt schiebt er seine Hand tiefer zwischen meine Schenkel. Wieder schnappe ich ächzend nach Luft, nicht nur, weil diese Finger so verdammt groß sind, als er sie in mich drückt, sondern weil sich alles in mir gegen diesen Übergriff in mein Intimstes wehrt.
››Du willst mich nicht in dir. Aber du wirst bald feucht werden für mich, katta. Du wirst auslaufen, und so nass sein, wie du es noch niemals vorher warst. Und dann wirst du darum betteln, dass ich dich nehme. Und soll ich dir was sagen?‹‹ Wieder zwickt er mich seitlich mit seinen raubtierhaften Eckzähnen in die Stelle an meinem Hals, unter der mein Puls aufgescheucht klopft. ››Ich werde dich so lange ficken, bis du nur noch rohes Fleisch bist – und nicht mehr um meinen Schwanz oder darum bettelst, kommen zu dürfen für mich – sondern darum, dass ich dich endlich sterben lasse!‹‹
Etwas ist seltsam.
Wo ist die Angst?
Ich fühle mich so seltsam teilnahmslos, als ob es gar nicht mich betreffen würde, was gerade geschieht. Den Schmerz fühle ich, stoßend bewegt er zwei seiner Finger in mich. Es ist eine Fülle, die kaum auszuhalten ist – zumal ich so trocken bin wie Burja, der Wüstenplanet in der dritten Galaxie – auf dem es kein einziges Tröpfchen Wasser gibt, und doch existiert dort Leben. Ja, und ich …
Schon wieder! Benommen blinzle ich, versuche meine Gedanken zu sammeln. Nein, etwas stimmt hier ganz gewaltig nicht, aber das liegt nicht an dem riesigen Droga, der mich geschnappt hat. Es ist etwas anderes, das sich wie ein Mantel um meine Sinne gelegt hat und mich lähmt. Ein Droga kann sowas nicht. Die Droga sind zwar keine primitive Rasse, aber sie verfügen nicht über mentale Kräfte.
Unter Aufwendung aller Kraft, wende ich meinen Kopf. Meine Wange schrammt über das raue Mauerwerk, doch das ignoriere ich. Wieder blinzle ich, meine Sicht ist ganz verschwommen, doch endlich klärt sie sich. In dem Moment, als der Droga seine Hand von mir nimmt und etwas ohne Vorwarnung in meine Halsvene sticht, zeigt er sich mir.
Der Mink, den ich gejagt habe. Seine astrale Gestalt schwebt im verwahrlosten Dunkel der Gasse, er hat etwas von den Gespenstern an sich, über die man sich in alter Zeit auf der Erde erzählt hat. An der Stelle wo normalerweise die Augen liegen sollten, gibt es nur zwei dunkle Höhlen. Und doch – kurz bevor ich das Bewusstsein verliere, erkenne ich den hämischen Spott, der mir gilt. Er war es – er hat mich mit seinen Kräften beeinflusst. Die Mink haben ein Organ, das allen anderen Rassen fehlt – es befähigt sie dazu, einen für sämtlichen Ohren unhörbaren Gesang zu produzieren, der seltsame Auswirkungen auf Humanoiden hat. Er kann wehrlos machen und willenlos, er kann Panik schüren oder unsäglichen Schmerz übermitteln. In meinem Fall nimmt er mir die Fähigkeit, mich zu konzentrieren.
Dieser ganz spezielle Mink hat gewusst, dass ich hinter ihm her bin. Irgendjemand hat mich verraten, erkenne ich nun, und dafür gesorgt, dass ich außer Gefecht gesetzt werde.
Die Erkenntnis kommt zu spät.
Ohne es zu merken, ist die Jägerin längst zur Beute geworden …
Es wird schwarz um mich. Ich merke es nicht einmal mehr.