Kapitel 1
***Alessio***
Ich, Alessio Giordano, spürte, wie sie wieder erwachte. Diese unerbittliche, animalische Präsenz, die wie ein Sturm in mir lauerte, bereit, jeden Moment alles zu verschlingen. Sie war keine bloße Kraft; sie war eine Verkörperung meiner dunkelsten Instinkte, eine Macht, die sich nie völlig unterdrücken ließ, ein Schatten meiner selbst, der in jedem Atemzug mit mir lebte. Ihre Rückkehr war wie ein Donnerschlag in der Stille, ein brodelndes Feuer, das mich aufrüttelte und meine Kontrolle herausforderte. Diese ungezähmte, urtümliche Kraft, die sich tief in mir verborgen hielt, lauernd wie ein Raubtier, bereit zuzuschlagen. Es war ein ewiger Kampf, ein Tanz auf dem Abgrund meiner Beherrschung. Jeden Tag zwang ich mich, sie in Schach zu halten, zu unterdrücken. Seit wir uns unter die Menschen gemischt hatten, blieb keine andere Wahl. Wir hatten uns angepasst, hatten uns zivilisiert gegeben, um in dieser Welt zu überleben. Doch tief in uns, verborgen hinter Anzügen und geschmeidigen Worten, waren wir immer noch das Gleiche: Jäger, Raubtiere, ein Rudel gnadenloser Werleoparden.
Mein Vater, Giovanni Giordano, war der Alpha unseres Rudels — und zugleich Don der mächtigsten Mafia Europas. Seine bloße Anwesenheit reichte aus, um selbst die kühnsten Männer zum Schweigen zu bringen. Mit Augen, so dunkel wie eine mondlose Nacht, konnte er einen Blick werfen, der tiefer schnitt als jede Klinge. Seine Stimme hatte die Schwere von Donnern, doch er sprach selten laut; die Gefahr in seiner Ruhe war weit bedrohlicher. Giovanni war nicht nur ein Anführer — er war eine Legende. Geschichten von seiner Grausamkeit, von Gegnern, die auf mysteriöse Weise verschwanden, kursierten wie Warnungen in der Unterwelt. Doch hinter der unerschütterlichen Fassade war er ein Stratege, ein Mann, der jeden Zug drei Schritte voraus dachte. Sein Verständnis von Macht war absolut: Sie gehörte nur dem, der bereit war, alles zu opfern, um sie zu bewahren. Und das machte ihn so gefährlich. Für Giovanni war das Leben ein Schachspiel, und er war immer der König, der am Ende stand. Seine Autorität war unangefochten, seine Macht uneingeschränkt. Doch kein Imperium ist ewig, und jedes Rudel braucht einen Erben. Ich war dieser Erbe. Es lag an mir, das Vermächtnis der Familie fortzuführen, die Kontrolle zu übernehmen, wenn seine Zeit abgelaufen war. Mein Leben war ein Labyrinth aus Intrigen, Gewalt und Machtspielen. Ich wickelte die wichtigsten Geschäfte ab, ob es nun um Drogen, Waffen oder Menschenhandel ging. Uns gehörten Hotels, Bars, Clubs und Restaurants weltweit. Die Mafia war ein lebender, atmender Organismus — gefährlich, wild, stetig wachsend.
Doch es ging nicht nur um Geld und Einfluss. In unserer Welt der Schatten war Macht nicht allein durch Worte oder Reichtum zu erlangen. Sie wurde mit Blut erkauft, in Kämpfen, die keine Regeln kannten. In unterirdischen Arenen, verborgen vor den Augen der Menschen, standen wir uns gegenüber. Stahlklingen und Kugeln hatten keinen Platz; es waren unsere Krallen, unsere Fänge, unser purer Wille, der entschied. Das Echo unserer Kämpfe hallte wie Donner durch die Dunkelheit, Fleisch zerriss, Knochen brachen, und die Luft war schwer von dem metallischen Duft des Blutes. Jeder Kampf war ein Tanz auf Messers Schneide, ein Test, der Stärke und Instinkt gleichermaßen forderte. Ein Fehltritt konnte den Tod bedeuten, doch der Sieg brachte nicht nur Ehre, sondern das Recht, das Rudel zu führen. Regelmäßig mussten wir in Arenen kämpfen, uns beweisen, unsere Stärke zeigen. Als Alpha war mein Vater ständig gefordert, seine Position zu verteidigen. Die anderen Betas — starke, ehrgeizige Männer und Frauen — warteten nur auf eine Schwäche, um ihn vom Thron zu stürzen. Bald würde ich diese Kämpfe übernehmen müssen. Mein Training war intensiv, meine Vorbereitungen unerbittlich.
An diesem Tag jedoch lenkte mich eine Verhandlung ab. Der Sitzungssaal war stickig, der Kaffee kalt, und meine Nerven zum Zerreißen gespannt. „Mr. Giordano, Ihre Meinung?“ Die Stimme eines Geschäftsmanns unterbrach meine Gedanken. Er saß mir gegenüber, ein aalglatter Typ in einem grauen Anzug. Hinter mir standen Alfonso und Luigi, meine besten Männer. Beides loyalste Betas, die mir trotz vergangener Machtkämpfe ihre Dienste schworen.
Ich verschränkte die Finger und fixierte den Mann mit einem Blick, der mehr Messer als Augen war. „Ich lasse mich nicht erpressen,“ sagte ich leise, aber mit der Wucht eines Donners. „Der osteuropäische Markt gehört uns. Sollten Ihre Leute wagen, uns in die Quere zu kommen, verspreche ich Ihnen den schlimmsten Tod, den Sie sich vorstellen können.“
Er lachte, als wäre das alles ein Spiel. „Sie drohen mir?“, fragte er. „Nach allem, was ich für Sie getan habe?“
Das reichte. Ich sprang auf, ein Knurren entwich meiner Kehle. Meine Muskeln spannten sich an, meine Fingernägel wurden länger, schärfer. Im Spiegel erhaschte ich einen Blick auf mich: Meine Augen verfärbten sich gold, die Farbe des Tiers in mir. Die Transformation drohte. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und zwang die Bestie zurück in ihre Ketten.
„Fünf Prozent Zinsen. Nicht mehr, nicht weniger. Sie haben eine Woche,“ knurrte ich. Einer meiner Männer verteilte Umschläge an die Anwesenden. Der Geschäftsmann starrte auf die Dokumente, sein Gesicht erstarrte.
„Was ist das?“
„Beweise,“ sagte ich. „Bilder, Videos. Von Ihnen und Ihrem gesamten Vorstand, wie Sie in illegalen Clubs Orgien feiern. Mit Minderjährigen. Soll das die Polizei sehen? Die Presse? Entscheiden Sie selbst.“
Ich setzte meine Sonnenbrille auf und verließ den Raum. Mein Rudel folgte mir. Die Lobby des Luxushotels war ein Meer aus Glanz und Reichtum, doch mein Instinkt — meine animalische Seite — erfasste etwas anderes. Ein Geruch, so betörend, dass er mich fast umwarf. Mein Atem stockte, meine Augen verfärbten sich erneut. Ich scannte die Umgebung, und dann sah ich sie.
Oben auf der Empore stand eine Frau. Ihre dunklen Haare fielen in seidigen Wellen, schimmerten im Licht wie polierter Obsidian, und ihr Körper war ein Kunstwerk aus Eleganz und Kraft, als hätte die Natur selbst sie mit besonderer Hingabe geformt. Ihre Präsenz war magnetisch, wie ein Sturm, der droht, den Himmel aufzureißen, und meine Sinne fingen Feuer, unkontrollierbar und lodernd. Sie sprach mit einem Mann, doch ihre Augen — diese Augen! Ein hypnotisches Blau-Grün, intensiver als jeder Kristall. Mein Inneres brannte, meine Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen. Wer war sie?
„Boss?“, fragte Luigi. „Alles okay?“
Ich schüttelte den Kopf. „Sie. Sie ist es.“
„Wer?“
„Ich weiß es nicht.“ Meine Stimme war rau. „Aber ich muss es herausfinden.“
Alfonso legte mir eine Hand auf die Schulter. „Nicht hier, Boss. Nicht jetzt.“
Ich zwang mich, wegzusehen, doch es fiel mir schwer. Die Frau drehte sich um, und ein kurzer Blick ihrer Augen traf mich wie ein Dolch. Mein Herz raste. Ich stürmte hinaus, warf mich in die wartende Limousine und schloss die Tür hinter mir mit einem Knall.
„Fahr los!“, brüllte ich. Mein Atem ging keuchend. Die Bestie in mir tobte. Ich riss mir das Hemd vom Leib, mein Körper veränderte sich. Knochen knackten, Muskeln spannten sich, Fell spross aus meiner Haut. Ein tiefes Fauchen entwich meiner Kehle.
„Boss! Reißen Sie sich zusammen!“ Alfonso’s Stimme war ein ferner Hall, doch sie trug eine Härte und Vertrautheit, die mich kurz innehalten ließ. Alfonso war mehr als nur ein Beta in meinem Rudel; er war der Mann, der einst die Klinge an meinem Hals gehabt hatte, bevor er erkannte, dass seine Loyalität zu mir stärker war als sein Ehrgeiz. Unsere Beziehung war ein ständiges Wechselspiel aus Respekt und Konkurrenz, eine Verbindung, die durch Blut und Kämpfe geschmiedet worden war. Seine Worte holten mich oft aus dem Abgrund, so wie jetzt, als ich mich verzweifelt gegen die tobende Bestie in mir stemmte. Doch ich konnte nicht aufhören. Das Tier in mir brach aus, wild, unbändig. Der Leopardenmann, der ich war, brach aus dem Schatten hervor.
Wir fuhren los, und ich riss mir das Hemd vom Leib. Der Stoff platzte regelrecht, als sich meine Muskeln darunter spannten. Die Veränderung setzte ein. Ich spürte, wie meine Knochen begannen, sich zu verformen, und meine Haut brannte, als würde sie von innen heraus in Flammen stehen.
„Boss, ruhig! Bleiben Sie ruhig!“ Alfonso’s Stimme drang von vorn zu mir durch, doch sie war kaum mehr als ein fernes Echo. Mein Kopf war ein brodelnder Sturm. Ein Fauchen entfloh meiner Kehle, tief und vibrierend. Der Rücksitz des Wagens schien plötzlich viel zu klein für mich zu sein, und als meine Beine nachgaben, fiel ich auf den Boden. Haare sprossen aus meiner Haut, dicht, silbrig glänzend — ein einzigartiges Merkmal, das mich von allen anderen unterschied. Ich war nicht einfach ein Werleopard. Ich war der Erbe, der nächste Alpha.
Meine Knochen knackten, als mein Körper sich weiter veränderte, und ein animalisches Knurren entkam meinen Lippen. „Los, fahr schnell zum Millennium Park“, befahl Luigi dem Fahrer, und das Auto beschleunigte abrupt. Der Boden vibrierte unter mir, doch ich war zu sehr in meinen eigenen Schmerzen und der Wildheit meiner Verwandlung gefangen, um viel davon wahrzunehmen. Mein Atem ging schwer, jedes Ein- und Ausatmen begleitet von einem tiefen Fauchen, während ich mich auf dem Boden wälzte.
Schließlich kam der Wagen ruckartig zum Stehen. Alfonso sprang als Erster aus dem Wagen, die Dunkelheit der Nacht umfing ihn, und ich spürte, wie er sich aufmerksam umsah. Noch immer rammte ich meinen Körper gegen die verschlossene Tür des Wagens, mein Instinkt schrie nach Freiheit.
„Niemand zu sehen, los…“, raunte Alfonso. Luigi zog die Tür auf, und ich schoss hinaus, meine Bewegungen flüssig und geschmeidig. Der Mond spiegelte sich in meinen goldenen Augen, als ich mich mit kraftvollen Sprünge in die Dunkelheit des Parks stürzte. Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich, bereit zum Angriff oder zur Flucht — ganz egal, was die Situation erfordern würde.
Ich verließ den Hauptweg und hechtete ins Gebüsch. Die Welt um mich herum war ein Kaleidoskop von Geräuschen und Gerüchen, jeder Laut, jeder Windhauch erschien mir glasklar. Ich roch die Erde, das Gras, das Blut kleiner Tiere, das in der Luft hing. Mein Herz raste, doch mein Verstand blieb seltsam ruhig, fokussiert.
Und dann witterte ich ihn. Der Geruch eines streunenden Hundes traf mich wie eine Welle. Das Tier war in der Nähe. Mein Körper senkte sich instinktiv in eine geduckte Position, meine Krallen fuhren aus. Meine Augen fixierten meine Beute, und meine Sinne schärfte sich noch weiter. Der Hund, nichtsahnend, tappte durch das Unterholz. Mit einem einzigen Sprung landete ich auf ihm, meine Klauen gruben sich in sein Fleisch, und mit einem schnellen, gezielten Biss rammte ich meine Reißzähne in seinen Hals. Blut füllte meinen Mund, warm und metallisch, und ein Rausch durchflutete mich, dunkel und berauschend.
„Boss?“ Alfonso’s Stimme drang an mein Ohr, leise und vorsichtig. Ich spürte ihn schon, bevor ich ihn hörte — seine schweren Schritte ließen den Boden leicht erzittern, das Raunen seiner Bewegung war wie eine Warnung an jeden, der sich uns näherte. Er war ebenfalls in seiner Leopardenform, sein Fell in warmen Brauntönen gesprenkelt. Im Gegensatz zu ihm war mein Fell silbern, ein seltener und majestätischer Anblick.
Ich knurrte leise und hob den Kopf von meiner Beute. Meine Atmung war schwer, und ich konnte den Rausch noch immer in meinen Venen spüren, doch langsam zwang ich mich zur Ruhe. „Alles okay?“, fragte Alfonso, seine Stimme fast ein Flüstern. Er beschnüffelte den toten Hund, sein Kopf leicht zur Seite geneigt.
„Ja“, antwortete ich knapp und richtete mich langsam auf. Der Hund lag reglos zu meinen Pfoten, sein Blut tropfte von meinem Maul. Es ging mir nicht ums Fressen. Es ging um die Jagd, um den Akt selbst, um den Sturm in mir zu bändigen, der sonst alles verschlingen würde.
Langsam trottete ich durch das Gebüsch zu einer Baumgruppe. Alfonso folgte mir in respektvollem Abstand, sein massiger Körper bewegte sich mit einer Eleganz, die bei seiner Größe unmöglich schien. Neben einer hohen Eiche wartete Luigi, immer noch in seiner Menschengestalt. In seinen Händen hielt er eine Garnitur frischer Kleidung, bereit für unsere Rückkehr.
Ich zwang das Tier in mir zur Ruhe, konzentrierte mich auf meinen menschlichen Kern. Die Verwandlung zurück war weniger schmerzhaft, fast sanft im Vergleich zur Verwandlung in das Tier. Mein Atem ging ruhig, als ich langsam wieder zu mir fand.
„Hier, Boss“, sagte Luigi und reichte mir ein Handtuch. Ich wischte mir das Blut vom Gesicht, dann zog ich die frische Kleidung an, die er bereithielt. Alfonso tat es mir gleich, wobei sein Blick nie von mir wich. Es war ein stiller Respekt, eine Anerkennung meiner Position und meiner Macht.
„Ich will alles über diese Frau wissen“, knurrte ich, die Erinnerung an ihre leuchtenden Augen und ihre Ausstrahlung loderte in mir auf wie ein Feuer. „Wer sie ist, wo sie wohnt, was sie macht. Alles. Verstanden?“
Alfonso und Luigi nickten, ohne zu zögern. Luigi zog sofort sein Handy hervor und entfernte sich ein paar Schritte, um Anweisungen zu geben. Alfonso blieb bei mir, sein Blick wachsam.
„Diese Frau…“, begann er, doch ich schnitt ihm das Wort ab.
„Sie ist anders“, sagte ich leise, mehr zu mir selbst als zu ihm. Ich spürte es, tief in meinem Inneren. Sie war etwas, das meine Welt erschüttern konnte. Und ich würde herausfinden, was.