PROLOG
Ich ließ meinen Blick geradeaus über den Highway der Route 84 gleiten. Die Straße dehnte sich vor mir aus wie ein dunkles, stilles Versprechen, das nur darauf wartete, eingelöst zu werden. Die Nacht lag wie ein schwerer Mantel über uns, unterbrochen von den glühenden Scheinwerfern unserer Maschinen, die den Asphalt in flackerndes, unwirkliches Licht tauchten. Um mich herum summte das Leben – meine Leute, meine Brüder, mein Rudel. Sie schirmten mich und mein Bike ab, wie sie es immer taten. Es war kein Schutz aus Angst, sondern ein Akt der Loyalität, ein Symbol unserer unausgesprochenen Gesetze.
Wie viele wir waren? Knapp hundert Fahrer, eine Flut aus Chrom und Leder, eine unaufhaltsame Welle, die durch die Dunkelheit rollte. Nicht jeder konnte es sich leisten, die gesamte Tour mitzufahren. Verständlich. Die Welt, die ich aufgebaut hatte, verlangte ständige Aufmerksamkeit. Clubs, Bars, Bordelle, Hexenküchen – nichts davon lief von allein, und ich war derjenige, der sicherstellte, dass jedes Zahnrad in diesem komplizierten Uhrwerk reibungslos ineinandergriff.
Mein Bike, meine Harley Davidson Cosmic Starship, war mein Baby. Keine Maschine, sondern eine Göttin aus Stahl und Geschwindigkeit. Sie war ein Teil von mir, so sehr, dass ich das Gefühl hatte, mein Herz würde mit jedem Schlag des Motors synchron schlagen. Neben anderen Bikes und meiner Sammlung sündhaft teurer Autos war sie mein Ein und Alles. Aber nichts konnte das Gefühl ersetzen, auf zwei Rädern die Welt zu erobern. Motorradfahren war mein Blut, meine Seele, meine Religion.
Die Cruels Angels waren meine Familie. Nicht die, in die ich geboren wurde, sondern die, die ich mir selbst geschaffen hatte. Wir waren Rocker, ja, aber mehr als das. Wir waren ein Stamm, ein Schattenreich, das über die Straßen herrschte. Loyalität und Ehre waren unsere Säulen, nicht nur Worte, sondern Gesetze, die in unseren Adern brannten. Jeder stand für jeden ein, und wer sich aus dieser Einheit herauswagte, wer uns verriet, verlor alles. Keine Gnade. Keine Diskussionen. Und vor allem keine zweite Chance.
Unsere Reise führte uns von Portland bis nach Salt Lake City, eine Route, die mehr war als nur ein Weg von A nach B. Sie war ein Stück unserer Identität, ein Symbol für das Leben, das wir führten. Auf dem Weg lag Geschäftliches, ja, aber auch die Freiheit, die wir alle suchten. Die Freiheit, zu sein, wer wir waren, ohne Masken, ohne Ketten. Jeder Stopp war eine Gelegenheit, die Fäden meines Imperiums zu überprüfen, die Stricke fester zu ziehen und meine Präsenz spürbar zu machen. Ich ließ nichts dem Zufall überlassen.
Ich spürte den Motor unter mir, die Vibrationen, die durch meinen Körper jagten und mich in einen Zustand versetzten, der weder ganz wach noch ganz Traum war. Der Wind trug den Geruch von Asphalt, Benzin und etwas Unaussprechlichem mit sich, das mich immer wieder in seinen Bann zog. Die endlose Weite vor mir, die Sterne über mir, die Bruderschaft hinter mir – das war meine Welt.
Doch in der Dunkelheit lauert immer etwas. Der Highway war mehr als nur eine Straße; er war eine Bühne für das Spiel von Macht und Verrat, Lust und Tod. Und in dieser Nacht, wie in so vielen anderen, spürte ich das Kribbeln im Nacken, eine Vorahnung, die mich nie ganz verließ.
Salt Lake City kam näher…